Warum bewerten? Wertermittlung

Warum bewerten? Wertermittlung.

Digitale Medien erobern die Immobilienwirtschaft, und gängige Plattformen bieten Preisinformationen in Hülle und Fülle. Wer den Blick auf andere Objekte scheut, kann bei Immobilienscout „in nur drei Minuten für unter 30 Euro“ den Wert seines Objekts im Schnellverfahren ermitteln. Das verlockende Angebot lässt den Immobiliensachverständigen

mit seinen vierstelligen Preisvorstellungen und dem Aufwand von Besichtigungsterminen also wie ein Relikt aus alter Zeit erscheinen. Zumal es viele Schwierigkeiten geben könnte, mit denen er gar nicht so einfach umgehen kann.

Immobilienwerte machen weltweit ungefähr 60 Prozent des Gesamtvermögens aus. Als Realvermögensgut bemisst sich der Wert der Immobilien aber gerade an künftigen Mieterträgen, die besonders
im Umfeld massiver Steigerungen wie in den Ballungszentren schwer ermittelbar sind. Schwieriger noch, der Immobiliensachverständige würde möglicherweise gar nicht berücksichtigen, dass im letzten Jahr das Treppengeländer neu gestrichen wurde oder dass es sich um das Elternhaus handelt und für diesen „emotionalen Wert“ auch eine gewisse Preisvorstellung existiert, die Berücksichtigung finden müsste.
Warum ist ein Profi besser als der Automatismus eines Portals?

Aber gerade darin zeigt sich der Wert des Sachverständigen selbst; denn beides soll er eben nicht. Genau wie sich mögliche Werte für ein Immobilienobjekt per Durchschnitt aus der Datenbasis eines Immobilienportals berechnen oder messen lassen, ist auch der Immobiliensachverständige ein Maßinstrument. Macht er seinen Job richtig, ist er jedoch keine durchschnittliche Standardlösung, sondern ein intelligentes Maßinstrument, das durch Expertise und Erfahrung den besonderen Gegebenheiten des Marktes Rechnung trägt und Werte ermittelt, die höchstmöglich objektiv sein sollen. Diese These wirft die Frage auf, warum der Einzelne besser sein soll als Informationen, die durch ein Portal aus einem großen Teil des Marktes zusammengetragen werden?

Zunächst steht hier die grundsätzliche Problematik, dass beim Verkauf von Immobilien Angebotsdaten aus Portalen zwar geeignet sind, wenn zeitliche Trends untersucht werden sollen. Soll jedoch ein objektiver Wert eines einzelnen Objekts beziffert werden, kommen allerlei statistische Verzerrungen ins Spiel. Die online abgebildete Preise nur selten den Beträgen entsprechen, die tatsächlich beim Notar beurkundet werden. Beispielsweise könnten unerfahrene Verkäufer ohne Betreuung durch einen qualifizierten Makler untypisch geringe Preise ansetzen. Daneben soll es auch einzelne Makler geben, die der Angebotsknappheit auf Verkäufermärkten dadurch begegnen, dass sie potenzielle Verkäufer durch Preisvorstellungen gewinnen, die deutlich über den Marktwerten liegen, nur um nach einer langen erfolglosen Vermarktungsdauer, den Preis auf Marktniveau korrigieren zu müssen.

Aber auch in einer Welt von Immobilienmärkten mit utopisch hohem Professionalisierungsgrad, die die vorherigen Beispiele unwahrscheinlich erscheinen lassen, wird der Immobiliensachverständige gebraucht. Denn manche Dinge lassen sich nicht lösen. In vielen Städten gibt es Viertel mit sehr altem Objektbestand und langen durchschnittlichen Mietdauern. Es mag Straßenzüge geben, in denen während der vergangenen zehn Jahre nur drei Vermietungen und noch weniger Verkäufe stattgefunden haben. Wie belastbar sind Durchschnittswerte dann? Angenommen eines der wenigen verkauften Objekte wäre noch durch Sondereffekte gekennzeichnet und hätte vielleicht durch einen Pool oder untypisch positiven Grundstückszuschnitt einen besonders hohen Kaufpreis erzielt? Wie viel wäre der Durchschnitt aus drei Objekten Wert, wenn eben doch das Elternhaus vom zurückkehrenden Sohn wieder erworben würde – zum doppelten des marktüblichen Preises? In der wissenschaftlichen Markttheorie werden derartige Problemfälle unter dem Begriff der geringen Transaktionshäufigkeit zusammengefasst. Der Markt ist nur überlegen, wenn er unter perfekten Rahmenbedingungen funktioniert. In vielen anderen Fällen sind sich die wissenschaftlichen Analysen der Marktmikrostrukturtheorie einig, dass Intermediäre wie die Immobiliensachverständigen, bessere Preisinformationen liefern können. Denn sie können auch mit dem Sondereffekt umgehen, dass Immobilien neben der geringen Transaktionshäufigkeit durch hohe Transaktionskosten (siehe Grunderwerbsteuer usw.) gekennzeichnet sind. Typische Preisentwicklungen können im Markt gar nicht sichtbar werden. Denn dazu müsste ein und dasselbe Objekt jährlich den Besitzer wechseln.

Hier ist ein gut ausgebildeter und erfahrener Immobiliensachverständiger im Vorteil. Seine Erfahrungen aus seiner regelmäßigen Tätigkeit mit vielen Objekten im aktuellen lokalen Marktumfeld helfen ihm dabei, Einschätzungen abzugeben, die vergleichbar sind und Werte zu ermitteln, die auch in Relation zueinander stimmig sind. Mit einer guten Kenntnis über gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, also einer ausgewogenen Mischung aus juristischen und volkswirtschaftlichen Kompetenzen, kann er Einschätzungen treffen, die in einem aktuellen Durchschnittswert nur partiell enthalten sind.Denn der Sachverständige muss sich Gedanken machen, welchen Einfluss gesamtwirtschaftliche Entwicklungen wie der Zins, die Demographie, der Zustrom an Flüchtlingen sowie die neuen gesetzlichen Regeln, wie die Mietpreisbremse, auf Immobilienwerte haben. Neben den Rahmenbedingungen wird er aber auch besser darin sein, den Einzelfall genau zu erfassen. Denn im Gegensatz zum Portaldurchschnitt und der Standardsoftware wird er das Objekt zur Bewertung persönlich besichtigen und einen genauen Eindruck entwickeln.
Der Profi liefert für den Verkauf wichtige Argumentationslinien.

Im besten Fall ist der Sachverständige aber noch ein wenig mehr als ein Messinstrument. Statt per „Schema F“ einen Wert aus der Standardsoftware abzulesen, wird er sich Gedanken machen, um Werte zu plausibilisieren. Bei der Gutachtenerstellung wird er den ermittelten Wert fundiert erläutern und begründen. Er liefert Argumentationslinien, die im Verkaufsprozess notwendig sind, und ist mit guter Ausbildung und entsprechender Anwendung der erlangten Kompetenzen eben genau das, was man sich wünscht: ein objektives Messinstrument, das zum Interessensausgleich von Käufer und Verkäufer beiträgt und damit die Arbeit auch im Vermarktungsprozess synergetisch ergänzt.

Von Professor Dr. Marco Wölfle, Wissenschaftlicher Leiter Center for Real Estate Studies und VWA Business School.
Der Artikel ist erschienen im AIZ-Immobilienmagazin, Ausgabe 12/2015, Seite 16f.

Kategorie: Allgemein ·Kauf